manna 2.0

Text: Laura Kubitzek

Die Serie manna 2.0 hat ihren Ursprung in Kamerun. Dort war simone de saree 2017 im Rahmen eines Entwicklungshilfe-Projekts in der Manna Eye Clinic in Nkongsamba als Augenärztin tätig. Darüber hinaus bekam sie als Künstlerin dadurch die Möglichkeit, Fotografien von Menschen vor Ort anzufertigen, die in einem anderen Rahmen so wohl nicht möglich gewesen wären.
Aus diesen Fotografien entstand zunächst ein Reportage-Projekt, das Eindrücke des Klinikalltags, insbesondere Patient*innen dokumentiert. Da in Kamerun generell strenge Vorgaben für die Fotografie in öffentlichen Räumen herrschen, bot sich für simone de saree so die Gelegenheit, Porträtaufnahmen der verschiedenen Menschen im Umfeld der Klinik zu machen. Durch die Beziehung zum Personal und den Behandelten als Kollegin und Ärztin entstand ein vertrauensvolles Verhältnis, das es der Künstlerin erlaubte, bestimmte Momente fotografisch festzuhalten.
Für die zunächst entstandene Serie manna fertigte die Künstlerin mittels Intagliotypie Druckgrafiken bestimmter Fotografien an, die sie meist zweifarbig, in Payne‘s Grey und Cadmiumgelb, ausführte. Das Graublau, das angelehnt an ein in Kamerun häufig auftauchendes Kobaltblau ist, und besonders das Cadmiumgelb stehen für simone de saree als Farben des Landes. Mit dieser Nutzung bunter Farben weicht sie von ihrer sonst schwarzweißen oder sogar ganz in Weiß gehaltenen Darstellung ab. Dies tut sie hierbei, um auf das Land Kamerun zu verweisen, dem sich die Arbeit widmet. Während die Künstlerin das dunkle Graublau nutzt, um die Dunkelwerte und Schattierungen der zugrundeliegenden Fotografie sichtbar zu machen, verwendet sie das Cadmiumgelb zur Akzentuierung einzelner Elemente wie Schmuck oder Stoffmuster, wodurch ein fast spielerischer Eindruck entsteht.
Auch für die im Anschluss geschaffene Serie manna 2.0 fertigte de Saree wieder Druckplatten der Fotografien an; die Werke aus gerissenen Druckbütten messen dabei 56 mal 40 Zentimeter, und es handelt sich um collagierte Arbeiten in Mischdrucktechnik, da hierbei die Techniken der Intagliotypie, der Monotypie und des Chine-collé-Verfahrens kombiniert wurden. Diesmal erscheinen die Fotografien in einer fragmentarischen Form, auf die wesentlichsten Bildinhalte reduziert. Außerdem wurden die Intagliotypien diesmal in nur einer Farbe – Payne‘s Grey – abgedruckt. Doch auch das Cadmiumgelb nutzte die Künstlerin 1 in dieser Serie – als grafische, quadratische Flächen, deren Positionen auf den Blättern mittels Zufall, unter Zuhilfenahme von Würfeln, bestimmt wurden, und die sie dann als Monotypien auf das Blatt druckte. Die Verweis-Funktion der Farbe wird so noch deutlicher, da der Aspekt der Kolorierung dabei wegfällt.
In manna 2.0 tauchen außerdem Textfragmente auf; diese brachte die Künstlerin mittels einer Handpresse und dem Chine-collé-Verfahren auf das Papier. Dabei handelt es sich um eine Drucktechnik, die besonders geeignet ist, um Materialien wie Japanpapier oder Leinen zu bedrucken, die fragil oder etwas kompliziert im Umgang sind. Es gibt verschiedene Möglichkeiten bei der Ausführung, aber generell wird dabei der bedampfte Bedruckstoff auf die mit Farbe versehene Druckplatte gelegt – zugeschnitten wird er entweder davor, oder wenn er dann bereits auf der Druckplatte liegt. Anschließend wird die Rückseite mit Kleister bestrichen und ein ebenfalls bedampfter Abdeckbogen darüber gelegt. Dann wird das Ganze durch eine Presse gedreht; durch den so erzeugten Druck wird zum einen die Farbe auf den Bedruckstoff – häufig Reispapier – übertragen, und gleichzeitig wird das Papier auf den Abdeckbogen aufgebracht.
Simone de saree geht hierbei etwas anders vor, indem sie den Text mit Tuschemarkern auf das von ihr bevorzugte semitransparente Papier überträgt und dieses dann mit Kleister bestreicht. Anschließend legt sie es auf die zuvor ausgewürfelte Position auf dem bereits teilweise bedruckten Büttenpapier und dreht alles gemeinsam durch die Presse. Sie nutzt dieses Verfahren, um die Textfragmente auf dem fragilen Papier auf Untergrund aufzubringen, also als eine Technik zur Collage, nicht als Druckverfahren im eigentlichen Sinn.
Inhaltlich stehen die Textfragmente in Bezug zu Begriffen, die für die Künstlerin die Personen auf den Fotografien beschreiben. In einem ersten Assoziationsschritt vergab sie so pro Fotografie und Person einen Ausdruck, der ihr als sinnbildlich für den jeweils abgebildeten Menschen erschien. In einem weiteren Schritt verschlüsselte sie dann das Wort, indem sie es beispielsweise durch den Namen von Persönlichkeiten, die in Bezug dazu stehen, und weitere zum Begriff passende Satzfragmente und Worte ersetzte. Auf diese Weise entstanden neue Texte, die für Rezipierende zunächst keinen Sinn ergeben, da sie auf einen Begriff verweisen, der ihnen nicht bekannt ist. Diesen können sie möglicherweise erahnen, wenn sie über die erwähnten Persönlichkeiten und ihr Wirken, und die weiteren Textfragmente reflektieren. Auch hier hat de Saree in der für sie typischen Manier Inhalte 2 verschlüsselte die für die Entstehung des Werks wichtig waren, letztendlich aber nur ihr genau bekannt sind. Für die Betrachtenden geben sie Anlass, sich genauer in die einzelnen Arbeiten der Serie zu vertiefen, und den Text nicht gesondert zu betrachten; mehr als die bloße Information, die durch die Worte gewonnen werden kann, verraten sie nämlich möglicherweise, wenn sie in Verbindung mit den Bildinhalten gebracht werden.
So kann beispielsweise die Arbeit, auf der eine ältere Frau im Profil zu sehen ist und deren Text auf Friedrich Schiller Bezug nimmt, mit dem Begriff der  »Würde« in Verbindung gebracht werden. Die Person sitzt dabei – bekleidet mit einem weiten Kleid und einem Kopftuch aus grafisch-floral bedruckten Stoffen – mit einem Stab in der rechten Hand und geschlossenen Augen auf einem Hocker. Die Faust mit dem Stock, die sich näher an den Rezipient*innen befindet, hält sie so, dass er vertikal zwischen ihren Beinen vor ihr auf dem Boden steht. Die Frau ist leicht aus dem Profil minimal in Richtung der Betrachtenden gewandt, und durch die geschlossenen Augen und ihre Körperhaltung entsteht dabei 
ein gelassener und in sich ruhender Eindruck. Für simone de saree strahlt diese Darstellung Würde aus, was sie in verschlüsselter Form in der Arbeit vermerkt hat.
Die von der Künstlerin fotografierten Personen erscheinen auf allen Bildern in ihre Handlungen und ihre Lebensrealitäten vertieft; bei den Fotografien für die Reportage entsteht so ein Eindruck des Geschehens in der Manna Eye Clinic – Wartende, Gespräche mit Patient*innen, und Praktizierende in Aktion –, während den Personen in der Serie manna 2.0 durch die fragmentarische Reduktion ein beinahe archetypischer Charakter zukommt. Auch bei ihnen wird deutlich, dass sie bestimmten Dingen geistig oder physisch zugewandt sind, jedoch ist der Umraum nicht mehr zu erkennen und die Menschen werden auf ihre Mimik und Gestik reduziert, wobei diese noch stärker zum Ausdruck kommen. Das Würdevolle, das also bereits in der ursprünglichen Fotografie der älteren Frau Anklang findet, entfaltet in der Arbeit von manna 2.0 seine volle Wirkung, wenn sowohl die Farbigkeit als auch die Bildinhalte reduziert sind und die Person in ihrer Haltung alleine den Bildraum dominiert.
Mit dem Titel  »manna 2.0« verweist de Saree zum einen auf den Namen der Manna Eye Clinic, in der die zugrundeliegenden Fotografien entstanden, zum anderen auch auf das bereits von der Klinik herangezogene, im christlichen Kontext als Himmelsbrot verstandene  »Manna«, wodurch der karitative Aspekt zum Ausdruck gebracht wird. Dieser christliche Hintergrund und karitative Charakter wird bei der Titelgebung auf einer Ebene genutzt, die 3 das Werk in einen kulturellen Kontext einbettet. Es geht nicht um einen religiösen Hintergrund des Werks, sondern vielmehr um eine Erläuterung zum Ursprungsort der Arbeit, die der Titel hier gibt. Die Manna Eye Clinic in Nkongsamba wurde 2003 von der deutschen Augenärztin Dr. Elisabeth Herz gegründet; die Augenklinik, die sich im Grunde finanziell selbst trägt, ist dennoch auf Spenden angewiesen, um die fachliche Aus- und Weiterbildung des Personals, sowie die Behandlung auch armer Menschen leisten zu können. 15 Prozent des Erlöses der Arbeiten von von manna 2.0 gehen daher an die Manna Eye Clinic.