Espacio

Text: Laura Kubitzek

Für ihre Fotografie-Serie Espacio ließ sich simone de saree von den Surrealisten und ihren Vorgänger*innen inspirieren; besonders Anklänge an die Arbeiten Giorgio de Chiricos und seinen Inszenierungen von Architektur sind hierbei auszumachen.

Motivisch wählte die Künstlerin dafür Häuser – bewohnt oder in Benutzung für beispielsweise Restaurants –, die sie während ihrer regelmäßigen Aufenthalte in Spanien zur Mittagszeit fotografierte. Mittags, wenn sich in den mediterranen Ländern das Leben von draußen in die Innenräume verlagert, um der Hitze zu entgehen, wirken die sonst so belebten Straßen wie leergefegt. Diesen Umstand nutzte de saree, um Szenarien zu kreieren, die von der sonst bekannten lebhaften Atmosphäre der Regionen – welche vor allem auf Urlaubsfotos wiederzufinden ist – abweichen. Statt der lebendigen Darstellungen, auf denen Menschen bis spät abends den Außenraum für soziale Interaktionen nutzen, kreierte sie so Bilder von Orten, die wie ausgestorben erscheinen und nichts von einem gerne bereisten Urlaubsziel vermitteln.

Die Bilder der Serie sind in Schwarz-Weiß gehalten und zeigen Häuser in Frontalansicht. Auch der Umraum der Gebäude ist hierbei bei einigen der Abbildungen zu sehen und zeigt dann Pflanzen, weitere Häuser oder die davor befindlichen Plätze, Straßen und Gehwege. In manchen der Darstellungen sind auch Elemente zu erkennen, die auf menschliches Leben hindeuten, – wie ein Auto, das um die Ecke geparkt steht. Generell ist jedoch kaum ein Indiz auszumachen, das mit Sicherheit Aufschluss darüber zu geben vermag, ob die Gebäude tatsächlich noch bewohnt sind, oder vielleicht schon seit einiger Zeit leer stehen.

Eine Fotografie zeigt hierbei ein flaches Gebäude, das sich vor der betrachtenden Person über die gesamte Bildbreite erstreckt. Links geht es in einen höheren Bau über, der vom Bildrand angeschnitten wird, rechts schließt sich ein schräg abfallender Teil – vielleicht eine Garage – an; über diesem sind im Hintergrund stehenden Bäume zu sehen und ein kleiner Teil eines Berges. Das ziegelgedeckte Dach des Hauses steigt von der abgebildeten Seite aus leicht nach hinten an.

An der Front sind zwei große Eingangstüren zu erkennen, weiter rechts eine kleinere, im Schatten liegende Tür, und drei verglaste Fenster. Neben der linken großen Tür befindet sich links oberhalb davon etwas, das an ein kleines Fenster erinnert, welches jedoch entweder durch einen Rolladen oder durch eine Platte abgedeckt wurde. In regelmäßigen Abständen befinden sich unterhalb der Dachtraufe, die sich an der Front entlang zieht, sieben kleine weiße quadratische Objekte, bei denen es sich vermutlich um Lampen handelt. Das mit Steinfliesen versehene Stück direkt vor dem Haus ist an zwei Stellen mit niedrigen, rechtwinkligen Mauerelementen zum Platz davor abgegrenzt; rechts davon befindet sich ein eingefasstes Beet – zu dem die kleinere Tür zu führen scheint –, in dem ein paar Büsche und Steine und außerdem eine kleine Palme zu sehen sind. Von den Mauern größtenteils für die Betrachtenden verdeckt, sind vor dem Haus an zwei Stellen gusseiserne Stühle aufgestellt, die an den oben etwas darüber hinausragenden Lehnen erkennbar sind.

Der Platz davor hebt sich vor allem durch seine dunklere Farbe von den hellen Steinfliesen und Mauern vor dem Haus ab. Er wird sowohl vom unteren als auch vom linken und rechten Bildrand angeschnitten und nimmt etwa ein Drittel der Bildhöhe ein. Es handelt sich um einen ziemlich ebenen – vermutlich asphaltierten – Boden, an dem jedoch an ein einigen Stellen hellere Flecken und Steine auszumachen sind. In der linken unteren Bildecke ist der Schatten einer Baumkrone zu sehen.

Der Himmel über dem Haus, der über dem Hauptteil des Gebäudes ebenfalls etwa ein Drittel der Bildhöhe einnimmt, ist stark bewölkt; er bildet einen Farbverlauf, der von der hellsten Stelle über dem Dach – beinahe weiß – über ein paar Grauwerte zu einem Mittel- bis Dunkelgrau wird, wo er vom oberen Bildrand angeschnitten ist. Dieser Verlauf spiegelt die Hell-Dunkel-Werte des Hauses, das ebenfalls von den Mauern und dem gefliesten Platz davor, über die Fassade bis zum Dach nach oben hin dunkler wird. Die dunkelsten Stellen in der Fotografie bilden die Fensterrahmen und Türen, die schattigen Stellen, die durch die Mittagssonne besonders unterhalb von Orten wie den Traufen und den Lampen zu sehen sind, die Bäume im Hintergrund und der oberste, verschattete Teil des höheren Gebäudes links, das vom oberen Bildrand angeschnitten wird. Die hellsten Elemente stellen die Mauerstücke, die quadratischen Lampen und der untere Teil des sichtbaren Himmels dar.

Wie bereits erwähnt, wirkt der Platz leer und verlassen; in dieser Abbildung lassen die Stühle vermuten, dass sich dort noch menschliches Leben abspielt, zieht man allerdings eine übereilte Flucht oder eine Katastrophe, die blitzartig zur Auslöschung des Lebens dort führte, in Betracht, scheinen auch die Sitzgelegenheiten keine wirkliche Hoffnung mehr zu geben. Nichts im Bild verspricht wirklich die Anwesenheit menschlicher Präsenz; einzig die fotografische Aufnahme lässt auf die Künstlerin schließen, die den Ort besuchte. Durch die Leere der abgebildeten Plätze verstärkt dies jedoch das Gefühl von Einsamkeit und Verlassenheit noch, statt ihm entgegen zu wirken.

Durch die schwarz-weiße Darstellung und die kontinuierlich umgesetzte Frontalansicht entsteht eine vermeintliche Objektivität, die an die Ästhetik der Deadpan-Fotografien Hilla und Bernd Bechers denken lässt. Während jedoch bei den Bechers die Objekte der industriellen Bauten und Fachwerkhäuser in den Vordergrund rücken, scheint bei simone de saree eher eine Stimmung eingefangen worden zu sein. Anders als bei Hilla und Bernd Becher sind bei ihr noch Verweise auf menschliche Präsenz erkennbar, da es sich um Wohnhäuser und um von Menschen regelmäßig besuchte Gebäude handelt. Da hierbei allerdings keine Personen zu sehen sind – in keinem der Bilder –, wird eine diffus beunruhigende Atmosphäre kreiert.
Der Anklang an de Chirico ist wahrnehmbar, wenn es um die Darstellung der Plätze geht. Architektur ist zu sehen und einige Objekte, aber nichts Lebendiges. Artefakte, die als Hinweise auf Menschen und ihre Kultur fungieren, keine Menschen selbst. Die Inszenierung in Schwarz-Weiß und die Wahl der Perspektive erschaffen einzelne Bilder, die einen Anschein von Leere oder vielleicht auch noch Ruhe vermitteln, die in ihrer Gesamtheit als Serie jedoch den Eindruck einer Geisterstadt erwecken, einer Dystopie von vom Unglück heimgesuchten Regionen, die möglicherweise fluchtartig verlassen werden mussten.

Mit Espacio kreierte die Künstlerin Bilder, die ihre Wirkung vor allem durch die Inszenierung der Architektur entfalten. Die Darstellung in Schwarz-Weiß spielt dabei eine wichtige Rolle, da sie die mediterranen Farben tilgt und das Blau des Himmels, das Grün der Pflanzen und die gewohnten Sand- und Terrakotta-Farben der Architektur in Grauwerte verwandelt. Dadurch werden erste Impulse der Betrachtenden, die Bilder mit bereits Gesehenem zu verknüpfen, unterbunden, und sie erinnern schon deshalb nicht so sehr an bereits bereiste Ziele, wie dies in Farbe der Fall wäre. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Perspektive, die besonders im Hinblick auf die Serie als Ganzes in den Vordergrund rückt. Haus für Haus ist in frontaler Ansicht zu sehen und in ihrer Gesamtheit vermitteln sie dadurch einen statischen, neutral dokumentierten Eindruck.
Der wohl entscheidendste Aspekt bei der Rezeptionsästhetik der Arbeiten ist jedoch der Zeitpunkt, an dem simone de saree die Bilder anfertigte; die Mittagszeit, die zum einen die Lichtverhältnisse, aber besonders auch das Fehlen jeglicher menschlicher Präsenz bedingte, ist hierbei wohl ausschlaggebend für die befremdliche Atmosphäre, die den Abbildungen innewohnt.

All diese Elemente, die die Künstlerin in der Serie miteinander verband, führen zu Fotografien, die ein Gefühl von Einsamkeit, aber auch einer latenten Bedrohung vermitteln. Das Fehlen von Menschen – also Identifikationsfiguren für die Rezipient*innen – bringt die Betrachtenden unweigerlich dazu, diesen Umstand zu hinterfragen. Was ist geschehen, dass all diese Orte wie ausgestorben erscheinen? Hat ein Unglück alle Menschen vertrieben? Oder noch schlimmer – getötet? Bilder an leere Städte nach Atomkatastrophen flackern in den Erinnerungen auf und bringen Unbehagen mit sich, das nur noch größer wird angesichts der derzeitigen politischen Lage. Die einfache Lösung – es ist Mittagszeit und alle Menschen befinden sich in den Innenräumen – scheint nur eine oberflächliche Beruhigung herbeizuführen. Einmal mit den Möglichkeiten konfrontiert, die auch zu diesen Abbildungen hätten führen können, sind die Rezipierenden sich zwar bewusst, dass lediglich ästhetische Entscheidungen der Künstlerin zu diesen Bildergebnissen geführt haben, dennoch lässt sich das Unbehagen der – noch? – nicht eingetroffenen Optionen nicht so leicht abschütteln und hallt noch nach, auch wenn die Bilder schon lange wieder von der Netzhaut verschwunden sind.