Odysseia – November bis Oktober

Text: Laura Kubitzek

Bei den Odysseia-Arbeiten von Simone de Saree handelt es sich um eine Werkserie, deren offensichtliche Gemeinsamkeiten in der Materialität, Formgebung und der von der Farbe Weiß dominierten, reduzierten Ästhetik bestehen. Darüber hinaus befassen sie sich jedoch auch inhaltlich mit einem gemeinsamen Thema – dem der Zeit. Während Odysseia – I've seen it all einen abstrakten, nicht wirklich greifbaren Zeitraum von der Antike bis heute behandelt und dies mit Hilfe der Geschichte von Odysseus verdeutlicht, thematisiert Odysseia – November bis Oktober den Zeitraum von genau einem Jahr.
Dies wird durch die Aufteilung in zwölf einzelne Teile verdeutlicht, die zusammen das Werk bilden; jede dieser Teilarbeiten entstand an einem zufälligen – von der Künstlerin durch Auswürfeln bestimmten – Tag pro Monat. Simone de Saree fertigte hierfür jeweils eine Fotografie und eine Zeichnung an und sammelte Textmaterial; dies vereinte sie zu einer Art Collage, die in ihrer minimalistischen Unaufdringlichkeit die Betrachter*innen zum genauen Hinsehen und Nachspüren einlädt.

Wie auch bei I've seen it all handelt es sich bei dem Bedruckstoff hier um semi-transparentes Papier, dessen mehrere Lagen mit einem „Seiden“-Faden in Stabbindung zusammengefügt wurden. Im Unterschied jedoch zu der vorangegangenen Arbeit vereinte die Künstlerin hier drei statt vier Lagen zu einer Teilarbeit. Auch hinsichtlich des Formats unterscheiden sich die Arbeiten: Während I've seen it all 120 x 33 Zentimeter misst, misst November bis Oktober 96 x 33 Zentimeter – hat also die gleiche Breite bei einer geringeren Höhe.

Die Fotografien wandelte Simone de Saree mit Hilfe von digitaler Nachbearbeitung in eine Druckplatte um und druckte diese dann mittels Intagliotypie auf eine Papierlage, ebenso wie den Text; die Zeichnung übertrug sie direkt mit weißer Tusche. So entsteht eine Überlagerung von drei Lagen des feinen Papiers, die hierbei ein Zusammenspiel von Fotografie Zeichnung und Text ergeben. Lichteinfall und Beleuchtung, sowie der Standpunkt der betrachtenden Person nehmen hierbei eine wichtige Rolle bei der Rezeption der Arbeit ein. Je nachdem, wie das Licht durch die Papierlagen scheint, sind bestimmte Elemente sichtbar oder bleiben verborgen.

Diesen Vorgang wiederholte die Künstlerin für das Werk noch elf weitere Male, sodass am Ende für jeden Monat des Jahres eine eigene Licht-Collage steht – bestehend aus Fotografie,
Zeichnung und Text. Den Text wählte Simone de Saree dabei zufällig – in Abhängigkeit davon, was sie zur Hand hatte – aus; so hielten sowohl Werbetexte und Zeitungsartikel, aber beispielsweise auch Graffiti-Texte an einer Hauswand Einzug in die Arbeit. Aus diesen verschiedenen Textquellen kreierte die Künstlerin dann in Anlehnung an dadaistische Gedichte hybride Texte – Pseudo-Gedichte ohne inhaltlichen Anspruch. Diese Texte dienen dann, nachdem ihnen von den Betrachter*innen kein inhaltlicher Wert abgewonnen werden kann, ausschließlich als Verweis auf den jeweiligen Tag. Sie sind sozusagen wortgewordene Indizien für einen ganz bestimmten Tag im Monat eines Jahres der Künstlerin.

Ein besonderer Reiz dieser Arbeit entsteht wohl auch durch die Abgrenzung zu I've seen it all; Während die vorangegangene und erste Arbeit dieses Schaffenszyklus ein historisch- mythologisches Thema behandelt und dies auch durch die Verwendung der altertümlichen Sprache angezeigt wird, befasst sich November bis Oktober mit alltäglichen Inhalten der heutigen Zeit. Popkulturelle Elemente in Form von Werbeanzeigen oder Graffiti finden durch die Pseudo-Gedichte ihren Weg in die Arbeit.

Simone de Saree verbindet so die ätherische Ästhetik der filigranen Papierschichten und der weißen Farbe in ihren graduellen Nuancen mit den eher banalen Themen, die jedoch durch ihre Dekonstruktion und Übersetzung in die Bildsprache der Künstlerin zunächst nicht als solche zu erkennen sind. Erst durch die intensive Auseinandersetzung mit den wiedergegebenen Inhalten erkennt die betrachtende Person, dass die Texte zum einen keinen Sinn als solche ergeben, und kann vielleicht auch Referenzen auf Werbetexte oder Zeitungsartikel erkennen.

Ist der Text – in Verbindung mit dem Titel, der hier als Hinweis auf die Bedeutung der Teilarbeiten dient – als Verweis auf einen bestimmten Tag erkannt, kann die betrachtende Person sich erschließen, was es mit den Zeichnungen und Fotografien auf sich hat: die Künstlerin fertigte hierbei an dem jeweiligen Tag eine Fotografie und eine Zeichnung an; die Fotografie gibt dabei Aufschluss über zumindest einen Teil der Realität, der Simone de Saree an diesem Tag umgeben hat, während die Zeichnung Ausdruck des künstlerischen Schaffens und einer eher subjektiveren Herangehensweise ist – dabei jedoch nicht weniger real in Verbindung mit dem Leben der Künstlerin steht.

In ihrer Gesamtheit bildet Odysseia: November bis Oktober also ein Jahr der Künstlerin ab, transferiert in ihre eigene ästhetische Sprache. Dabei verbindet die Arbeit verschiedene Gattungen, derer sich Simone de Saree generell für ihr künstlerisches Wirken bedient:
Malerei (in Form der Zeichnungen), Fotografie, Druck und Rauminstallation – das letztendliche Resultat des Werkes in der Ausstellungssituation. Auf diese Weise hat das Werk sehr starken persönlichen Bezug zur Künstlerin, da die einzelnen in die Arbeit eingeflossenen Elemente – besonders Fotografie und Text – direkt in Verbindung zu ihrer Umgebung stehen. Durch die Abstraktion und Übersetzung jedoch kreiert Simone de Saree eine Arbeit, die auf diese persönliche Komponente zwar verweist und diese der betrachtenden Person vor Augen führt, sich einer eindeutigen Zuordnung jedoch entzieht. So können die Rezipient*innen das Konzept begreifen, ohne sich in Inhaltlichem zu verlieren, und sich schließlich ganz der Wahrnehmung der dezenten optischen Reize hingeben.