Odysseia – 20:02 h

Text: Laura Kubitzek

Die Arbeit Odysseia – 20:02 h gehört zur Odysseia-Serie der Künstlerin, und befasst sich – wie die anderen Einzelarbeiten – mit den Themen Zeit und Raum. Auch die Materialität ist die selbe – mit einem Faden aus Algenseide zusammengefügte Bögen aus Japanpapier bilden eine Rauminstallation aus durchscheinenden Papierbahnen, die durch die jeweilige Anzahl und die bedruckten Text- und Bildfragmente in Weiß auf Weiß Hinweise auf oder Aufschluss über das jeweils spezifische Thema geben.

Die Zeitspanne, die diese Installation umfasst, beträgt einen Tag, den simone de saree in Form von 24 Papierbahnen – die für die 24 Stunden des Tages stehen – à 96 x 33 cm darstellt. Jede der Papierbahnen besteht wiederum aus vier Bögen des Japanpapiers, die mit Stabbindung zusammengefügt wurden. Auf jeden der einzelnen Bögen wurde drei mal ein kalligrafierter Text gedruckt, dessen genaue Positionen auch hier wieder mit Hilfe von Auswürfeln von der Künstlerin bestimmt wurde.

Bei dem Text handelt es sich pro Bahn um das, was simone de saree in den ersten zwei Minuten dieser Stunde gesehen und schriftlich festgehalten hat – beginnend um 20 Uhr. Ob es sich dabei nun um den Innenraum eines Restaurants, ihr Atelier, ein Buch, den Blick aus einem Fenster oder nächtliche Schattenspiele an den Wänden handelt, hängt hierbei davon ab, was die Künstlerin an diesem speziellen Tag erlebte. Dadurch – und durch die Nutzung von Kalligrafie – entsteht zum einen, wie bei Odysseia – November bis Oktober, ein sehr persönlicher Bezug simone de sarees zum Werk. Zum anderen wird die örtliche Komponente betont, da der Ort, an dem sie sich zur jeweiligen Zeit aufhielt, ausschlaggebend für den Inhalt des Textes ist. Der Text, der dabei 12 mal pro Bahn zu lesen ist – was als Verweis auf die Anzahl der Stunden einer analogen Uhr gelesen werden kann –, gibt den betrachtenden Personen Aufschluss über einen speziellen Tag im Leben der Künstlerin, und gleichzeitig über die Entstehungsgeschichte des Werks. Diese ist in schriftlicher Form in die Installation eingebettet, mit ihr verflochten, untrennbar damit verbunden. Die Entstehungsgeschichte wird dabei mehr als nur Hintergrundinformation oder Motivation der Arbeit, sondern gleichzeitig auch ihr Inhalt.

Die ganz in Weiß gehaltene Installation spiegelt so den Tagesablauf der Künstlerin an dem Tag wieder, an dem die Arbeit entstand. Gleichzeitig fordert sie allerdings auch die Rezipient*innen dazu heraus, über ihre eigenen Tagesabläufe zu reflektieren – ihre räumliche und zeitliche Verortung innerhalb eines Tages zu rekonstruieren oder vielleicht auch vorauszuahnen. simone de saree schafft so ein Werk, das ihre persönlichen Aufenthaltsorte zu bestimmten Zeitpunkten in Form von optischen Eindrücken einfängt – auch wenn sich daraus für die Betrachter*innen keine genau nachvollziehbaren Orte erschließen lassen –, und weckt damit bei den rezipierenden Personen vielleicht den Wunsch, abzugleichen, welche Eindrücke sich wohl ähneln und wo die Tagesabläufe sich unterscheiden.

Obwohl die Künstlerin hierbei persönliche Eindrücke schildert, wird man durch die minimalistische Form der Arbeit, die eine klare und eindeutige Aufteilung aufweist und damit formal individuell anwendbar ist, als Betrachter*in mit den eigenen Routinen konfrontiert. Überlegungen darüber entstehen, wo man sich den Tag über aufhält, wie man sich im Raum bewegt, und welcher Inhalt bei einem selbst die durchscheinenden Bahnen füllen würde. Während sich die Rezipient*innen in der Ausstellungssituation also räumlich zwischen den Bahnen der Installation bewegen, treiben diese sie an, die zeitlichen Sprünge der Texte nachzuempfinden und ihre eigenen Bewegungen über den Tag hinweg mit in ihre Gedanken einzubeziehen.